Landwirtschaft mit Zukunft
Die Universität Bern forscht für nachhaltige Ernährungssysteme

Nachhaltigkeit

Eine Landwirtschaft für Mensch und Natur

Die Agrarwirtschaft ernährt die Menschheit – doch sie führt auch dazu, dass Blumen aussterben, Ökosysteme beschädigt werden und das Klima ungebremst heisser wird. Die Universität Bern forscht an Lösungen für Mensch und Natur.

 

Wo sind die Blumen geblieben? Die Frage drängt sich auf, wenn man das Bild einer Wiese in Dombresson (NE) im Jahr 2000 mit dem Bild derselben Wiese von 2010 vergleicht (siehe oben). Aus einer sogenannten Fromentalwiese mit Zottigem Klappertopf, Wald-Strochenschnabel und Wiesen-Sauerampfer ist in nur zehn Jahren ein montones Grün geworden, in dem das Knaulgras dominiert. Die einst artenreichen Wiesen im Schweizer Landwirtschaftsgebiet sind in den letzten Jahrzehnten durch die Intensivierung der Landwirtschaft grösstenteils verschwunden. Insgesamt sind heute rund ein Drittel der Pflanzen-, Tier- und Pilzarten der Schweiz bedroht.

Doch wie steht es genau um die Schweizer Flora, die als eine der reichsten und vielfältigsten Europas gilt? In einem landesweiten Projekt haben mehr als 400 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bekannte Standorte aller gefährdeten Pflanzenarten der Schweiz aufgesucht und die Populationen überprüft. Forschende der Universität Bern und des Daten- und Informationszentrums der Schweizer Flora haben die Ergebnisse analysiert und 2020 veröffentlicht – diese sind alarmierend. Bei ihrer «Schatzsuche» gingen die ehrenamtlichen Botanikerinnen und Botaniker oft leer aus: 27 Prozent der 8024 Populationen konnten nicht wiedergefunden werden. Arten, die von Expertinnen und Experten als am stärksten gefährdet eingestuft werden, verloren gar 40 Prozent ihrer Populationen im Vergleich zu den Fundangaben, die aus den letzten 10 - 50 Jahren stammten.

Vernetze Lebensräume

Besonders betroffen sind Pflanzen auf sogenannten Ruderalstandorten – Flächen, die unter ständigem menschlichen Einfluss stehen. Dieser Artengruppe setzt die Intensivierung der Landwirtschaft mit einem grossen Dünge- und Herbizideinsatz, aber auch der Verlust von Kleinstrukturen wie Steinhaufen und Ackerrandstreifen besonders zu. «Der Aufbau einer ökologischen Infrastruktur, die Habitate miteinander vernetzt und so den natürlichen Austausch von Populationen ermöglicht, kombiniert mit gezielter Artenförderung, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung», betont Anne Kempel, Erstautorin der Studie vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern.

Wussten Sie, dass…

«Die Universität Bern stärkt ihre erfolgreiche Forschung zu Biodiversität, Klima und Landnutzung mit der Wyss Academy for Nature, die 2020 als unabhängige Stiftung gegründet wurde. Die Wyss Academy will die nachhaltige Entwicklung mit vier regionalen Hubs in Lateinamerika, Ostafrike, Südostasien und im Kanton Bern global voranbringen.»

In ökologische Infrastruktur investieren

Genau dies ist das Ziel des Projekts «Umweltpolitik für ökologische Infrastrukturen in ländlichen Gebieten» am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Im Kanton Bern werden drei verschiedene Ansätze zur Vernetzung von Lebensräumen untersucht, die zur Umsetzung des nationalen Aktionsplans für Biodiversität beitragen sollen. Erforscht wird insbesondere, wie die freiwillige Zusammenarbeit verschiedener Landbewirtschaftenden und Landbesitzenden gefördert werden kann.

Grösste Schweizer Experiment für Biodiversität und Ökosystemfunktionen

Dass sich Naturschutz und Landwirtschaft keineswegs ausschliessen müssen, zeigt auch das Ökologie-Experiment in Münchenbuchsee. Auf einer 3000 Quadratmeter grossen Wiese betreiben hier Forschende des Instituts für Pflanzenwissenschaften das grösste Experiment für Biodiversität und Ökosystemfunktionen in der Schweiz. Dabei zeigte sich: Sparsam gedüngte Wiesen sind artenreicher, gesünder und liefern fast gleich viel Heu wie stärker gedüngte Wiesen.

Die Versuchsfläche des PaNDiv-Experiments in Münchenbuchsee (BE) (© H. Vincent)

Biologische Schädlingsbekämpfung

Forschende vom Institut für Pflanzenwissenschaften haben 2020 zudem einen Ansatz entwickelt, der es erlaubt, ein breites Spektrum von Organismen zu verbessern, die zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden können. Diese Strategie kann zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft mit geringerem Pestizideinsatz beitragen.

Starke Pestizidbelastung

Wie wichtig solche neuen Lösungen sind, zeigte eine Studie des Geographischen Instituts und des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung: Diese ergab, dass Pflanzenschutzmittel den Lebensraum von Pflanzen und Tieren in der Schweiz so stark belasten wie noch nie. Rückstände der Pestizide finden sich auch in Seen von Schweizer Naturschutzgebieten, wie Sediment-Analysen des Berner Moossees zeigten.

Forschende der Universität Bern bei der Feldarbeit auf dem Moossee. Der Sedimentkernbohrer wird für den Einsatz am Boden des Moossees vorbereitet. (© Universität Bern)

Düngemitteleinsatz gefährdet Klimaziele

Ein weiteres Problem sind die steigenden Lachgasemissionen. Dieses starke Treibhausgas ist gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits um 20 Prozent angestiegen, wie eine Studie von Berner Klimaforschenden zeigte. Dies gefährdet das Erreichen der Klimaziele des Abkommens von Paris. Der Grund für den Anstieg, der sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat, ist vor allem der weltweit zunehmende Einsatz von Stickstoffdüngemitteln bei der Nahrungsmittelproduktion.

Ungleichheit fördert Abholzung in den Tropen

Die anhaltende Entwaldung in den Tropen trägt ebenfalls zur globalen Erwärmung und zum Verlust der Artenvielfalt bei. Eine der wichtigsten Ursachen ist die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Eine Studie des Centre for Development and Environment (CDE) zeigt nun: Reiche Privatpersonen investieren zunehmend in den Agrarsektor, was direkt zur Entwaldung beiträgt. Ein Anstieg ihres Vermögens im untersuchten Zeitraum von 1991-2014 von einem Prozent führte bei sogenannten Flex-Crop wie Soja oder Palmöl zu einer Ausweitung der Anbaufläche von 2,4 bis 10 Prozent.

Die «Comunidades de fundos de pasto» in Brasilien sind ein Beispiel für ein nachhaltiges Produktions- und Konsumsystem.

Nachhaltige Ernährungssysteme

Vor diesem Hintergrund forscht das CDE international nach Ansätzen und Hebeln, die eine umfassende Nachhaltigkeit in Ernährungssystemen unterstützen. Dies reicht vom Erhalt der Produktionsgrundlagen und der Agrobiodiversität bis hin zur Ausgestaltung von Verteilung und Konsum von Nahrungsmitteln. Konkret unterstützen Berner Forschende beispielsweise in Brasilien lokale Gemeinschaften beim Zugang zu ausreichend gesunder, bezahlbarer und kulturell akzeptierter Nahrung. Dazu brauchen etwa kleine Familienbetriebe Zugang zu Land, Wasser und zum Markt.

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